Samstag, 28. April 2012

Gedicht "Hatz des Geistes"

Emails checken nur mal eben
Noch nicht zu Ende gelesen schon auf stern.de
die neuesten Nachrichten überflie-
o das neue Album von Radiohead aber
Gadaffi will als Märtyrer sterben
CD rippen mit Kontostand checken
Kochen dabei, das Telefon geht und essen
Mit dem Handy eine SMS versenden
Endlich www schließen und thunderbird auch
Eine Word-Vorlage zur RU-h öffnen
Wieder emails öffnen, nur mal kurz

Sich selber jagen, hetzen, hochdrehen
Mit Impulsen den Geist bombardieren
Durchdrehen, Enge im Hals verspüren, Atemnot
Abgelenkt sein nichts mehr zu Ende kriegen
Sich einschleichende Fehler, verpuffte Energie
Vertane Zeit
Unzufrieden müde traurig
Schlafen, morgen gehts von vorne los

Montag, 6. Februar 2012

Mazar-i-Scharif

Das Thermometer draußen viel stetig. Auf einmal zeigte es 16 Grad Kälte an. Zum Glück funktionierte die Heizung im Auto einwandfrei.
Noah fuhr einen Kameraden, einen echten Kameraden, zu seinem Lehrgang zur Kaserne in Pfullendorf. Er selber war mal wieder auf dem Weg nach Hause, an den See. Schon lange hatten sie die sichere Autobahn hinter sich gelassen und fuhren durch das badische Hinterland, bergauf, bergab, durch kleine und noch kleinere Dörfer, an Wiesen vorbei und durch Wälder. Schnee lag auf manchen Feldern, doch es schneite nicht.
Wären sie mit dem Automobil liegen geblieben, hätte es einer langen Zeit bedurft, bis jemand zur Pannenstelle vorgedrungen wäre, so weit entfernt waren die Sträßchen bis zur nächst größeren Stadt. Doch der Motor des treuen Autos surrte sonor vor sich hin.
„Er würde nichts von seinem Lohn sparen. Er wolle sein Geld lieber direkt verbrauchen. Denn er wüsste nicht, ob er lebend von seinen Auslandseinsätzen zurückkommen würde. Vielleicht würde er auch versehrt heimkehren. Was nützten ihm da die Tausende auf dem Konto?“
Von diesen Aussagen des Kameraden neugierig geworden, nutzte Noah die Gunst der Stunde etwas aus dem Alltagsleben eines echten Soldaten der Bundeswehr zu erfahren.
Wie könnte er sich eine Kampfhandlung bei einem Auslandseinsatz vorstellen? Der Kamerad begann zu berichten. Mit den Darstellungen in Kriegsfilmen hat unser Kampf nichts zu tun. Wir leisten uns weder Mann-gegen-Mann-Gefechte noch bekriegen sich die Truppen in Grabenkämpfe auf wenige 100 Meter Entfernung wie im ersten Weltkrieg.
Ich berichte Ihnen mal von einem Überfall. Der Soldat war kaum davon abzubringen Noah zu siezen, und dass obwohl Noah ihn dezidiert darum gebeten hatte ihn zu duzen, weil er sich sonst so alt fühlen würde.
Doch Noah war das irgendwann egal, der Soldat schien es wohl von seinem Leben in militärischen Kreisen so gewöhnt zu sein. So begann er zu erzählen: Wir waren auf dem Weg zurück zu unserem Feldlager in Masar-i-Scharif. Ich saß im Fond unseres dreitürigen Geländewagens vom Typ Puch 250 GD, neben dem Fahrer reiste noch ein Funker mit. Er hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.
Ich schaute nichtsahnend durch das trübe PVC-Fenster unseres Jeeps als ich plötzlich eine Unregelmäßigkeit auf dem Weg entdeckte, eine Reihe von Steinen die sorgfältig nebeneinander gelegt waren, ein Anzeichen dafür, dass auf dem Weg eine Bombe platziert war. Ich schrie laut auf: Vorsicht, sofort anhalten, Stop! Eine Bombe! Doch da war es schon passiert.
Der Sprengsatz war explodiert. Er war unsichtbar in einem Schlagloch platziert gewesen, und von einem nur wenige Meter entfernt auf einer Lichtung hockenden Taliban per Handy ferngezündet worden, als sich unser Jeep über ihr befand. Er hatte uns gut versteckt mit dem Fernglas heranfahren sehen.
Der Fahrer war auf der Stelle tot. Ich sah noch eines seiner Beine durch die Luft fliegen und im Unterholz landen. Er konnte nicht mal einen letzten Schrei ausstoßen so schnell ereignete sich das Attentat. Der Beifahrer war von Splittern der Bombe bis zum Hals verletzt. Ich sah wie seine Wunde klaffte. Sein Blut spritzte zu mir in den Fond.
Ich war vollkommen starr. Vor Schock konnte ich weder denken noch mich bewegen. Doch rasend schnell fasste ich mich, denn es ging um das nackte Überleben. Ich musste aus diesem Jeep rauskommen. Durch die Türen konnte ich nicht, denn die waren infolge der Explosion blockiert. Also nahm ich mein Messer und schnitt in Panik die Plane des Jeeps auf. Draußen hörte ich das Gebrüll des Oberst der Einheit: Rette sich wer kann! Ein anderer Jeep näherte sich der Explosionsstelle. Staub wirbelte auf, die Luft bebte, jeder vor Ort stand gewaltigst unter Stress.
Ein paar Kameraden hatten sich in den Graben am Rand des Weges geworfen. Mit letzter Kraft entstieg ich dem Jeep. Dann war plötzlich Totenstille. Ich rief nach einem Sanitäter und ließ den schwerverletzten Beifahrer abtransportieren.
Endlich kamen Noah und der Kamerad an der General-Oberst-von-Fritsch-Kaserne in Pfullendorf an. Am Ende der Kasernenstraßen sahen sie die militärischen Anlagen, geschützt durch ein großes schmiedeisernes Gittertor. Stop! mahnte ein Schild an der rechten Seite des Pfostens, gerade so als ob der Anblick des Gittertors noch nicht genügend Aufforderungscharakter zum Ausdruck brachte hier anzuhalten.
Der Soldat enstieg Noahs Auto und meldete sich beim Pförtner. Noah hatte erwartet, dass er sich mit strengem militärischen Ton vorstellen würde: Unteroffizier meldet sich zum Dienst. Stattdessen murmelte er nur etwas von Lehrgang in die Gegensprechanlage und wurde auch sogleich eingelassen.
Noah startete sein Automobil und kam nach wenigen Minuten Fahrt durch die Nacht zuhause am See an. Allmählich wurde ihm klar, warum der Kamerad nicht sparte.